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Das verschwundene Christkind

Ole Vanhoefer

Startseite · Inhaltsverzeichnis · Rubrik: Geschichten für Kinder · Autor: Ole Vanhoefer

Es war der Tag vor Heiligabend. Vater und Mutter Schnack waren weggegangen und würden erst am Abend wiederkommen. Vater Schnack war zur Arbeit gegangen und Mutter Schnack war mit den Großeltern in die Nachbarstadt gefahren. Kalle und Jessi hatten schon Ferien und überlegten was sie heute machen könnten. Die Geschenke zu Weihnachten waren schon eingekauft worden und auch die Bastelarbeiten waren schon erledigt.

"Die Zeit vergeht überhaupt nicht", stöhnte Kalle. "Wenn doch schon morgen Abend wäre."

"Laß uns doch was unternehmen", schlug Jessi vor. "Dann vergeht die Zeit viel schneller."

"Und was?", fragte Kalle.

Das wußte Jessi auch nicht. Beide überlegten ein paar Minuten. Da hatte Jessi einen Einfall: "Wir könnten doch schon die Krippe herunterholen und sie aufbauen."

"Das ist ein gute Idee. Dann müssen Vati und Mutti das nicht mehr tun. Weißt du denn überhaupt, wo sie ist?"

"Klar doch. Auf dem Dachboden. Vati hatte sie letztes Jahr dort hingestellt."

Die Krippe war etwas besonderes. Der Vater von Großvater Schnack hatte sie geschnitzt und sie wurde jedes Jahr am Heiligenabend aufgestellt. Ein Fest ohne die Krippe konnten sich die Kinder überhaupt nicht vorstellen.

Sie erklommen die Leiter zum Dachboden. Dann suchten sie nach dem großen Karton vom OPPO-Versand, in dem die Krippe verpackt worden war. Sie mußten ein paar alte Sachen beiseiteschieben und eine Menge Staub aufwirbeln, bevor sie den Karton fanden. Sie brachten ihn nach unten in ihr Zimmer.

Vorsichtig öffnete Jessi den Deckel des Kartons und hob dann die Krippe heraus. Auf einer Holzplatte stand der Stall und ein paar Bäume. Die Figuren für die Krippe waren einzeln in Zeitungspapier eingewickelt worden, damit sie nicht beschädigt wurden.

Mit Pinsel und Staubtuch begannen die Kinder die Krippe zu säubern. Kalle machte den Stall sauber und Jessi die Figuren. Da waren Maria und Josef, die heiligen drei Könige Kasper, Balthasar und Melchior, die Hirten und die Tiere. Der Esel, der Ochse und die Schafe. Aber wo war das Christkind ?

"Das Christkind", rief Jessi. "Das Christkind ist nicht mehr da."

"Das kann doch nicht sein", sagte Zwille. "Sieh doch noch einmal in den Karton."

"Der Karton ist leer und zwischen den Figuren liegt es auch nicht. Vielleicht ist es in der Krippe?"

"Nein", meinte Kalle. "Ich hätte es bestimmt gesehen, als ich die Krippe saubermachte."

Traurig saßen die Kinder auf dem Fußboden. "Was machen wir nun?" fragte Kalle. "Ein Fest ohne die Krippe. Das ist ja so, als wenn wir keine Geschenke bekommen würden."

Jessi nickte. "Wir müssen unbedingt das Christkind finden. Vielleicht ist es aus dem Karton herausgefallen und liegt noch auf dem Dachboden. Laß uns nachschauen."

Aber dort lag es auch nicht. Sicherheitshalber durchsuchten sie noch den großen Karton mit dem Tannenbaumschmuck und den Karton mit den restlichen Weihnachtssachen, aber nirgendwo lag das Christkind.

"Und was machen wir jetzt?" fragte Kalle.

"Wir warten bis Vati und Mutti wieder da sind. Die wissen bestimmt, wo das Christkind ist."

Aber auch die Mutter wußte von nichts: "Das Christkind ist nicht da? Habt ihr auch überall nachgesehen. Es ist bestimmt aus dem Karton gefallen."

"Daran haben wir auch gedacht und haben den ganzen Dachboden abgesucht. Leider ohne Erfolg", sagte Jessi.

"Dann warten wir eben auf Vati." Aber auch der Vater konnte den Aufenthaltsort des Christkindes nicht angeben. Nach dem Abendbrot stieg er zusammen mit den Kindern noch einmal auf den Dachboden. Zwei Stunden später kamen drei verstaubte Gestalten mit hängenden Schultern ins Wohnzimmer.

"Habt ihr es gefunden", fragte die Mutter.

"Wir haben den Karton mit den alten Fotos wiedergefunden, den du schon so lange gesucht hattest", begann der Vater. "Außerdem die verschollene Puppe von Jessi, meine alte Angelausrüstung und Kalles Babysachen, aber das Christkind haben wir nicht gefunden."

Traurig setzten sich die Kinder zu Eltern, nachdem sie sich gewaschen hatte. Vater und Mutter Kalle waren dabei sich die alten Fotos anzusehen. Sie zeigten Mutter Schnack als Kind und als junges Mädchen. Die Mutter erzählte auch viel aus der Vergangenheit. Der erste Schultag, die erste Tanzstunde und die erste Begegnung mit Vater Schnack. Gebannt hörten die Kinder zu, denn diese wahren Geschichten waren viel aufregender als alles ausgedachte.

Aber nun war endlich der Heiligabend da. Die Kinder hatte trotz des Christkindes die Weihnachtsstimmung gepackt und beide hockten ungeduldig in ihren Zimmern. Unten hörten sie die Großeltern kommen. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern. Und schon hörten sie die Glocke läuten. Schnell liefen sie die Treppe herunter. Im Wohnzimmer brannten die Kerzen des Weihnachtsbaumes und viele Geschenke lagen darunter. Auch die Krippe ohne das Christkind wurde von vier Kerzen beleuchtet.

Erst wurde ein Lied gesungen und Mutter Schnack spielt Klavier, dann mußte auch Jessi Klavier spielen und Kalle sagte ein Gedicht auf. Und dann durften endlich die Geschenke aufgemacht werden. Kalle bekam einen neuen Pullover, eine Mütze und ein paar Handschuhe von den Großeltern und von den Eltern das Piratenschiff von Spielmobil und eine Baukasten von Lebo. Jessi dagegen konnte sich über ein wunderschönes Kleid freuen und über einen Kasten mit Ölfarben und Pinseln. Jessi hatte für die älteren Bubbelups zwei Aquarellbilder gemalt, die die Erwachsenen mit Kennermiene betrachteten. Kalle hatte Steine gesammelt und zu Steinmännchen zusammengeklebt und bemalt. Sie waren als Briefbeschwerer gedacht.

Aber ein kleines Geschenk blieb liegen. "Für wen ist denn das?" fragte Kalle.

Alle schauten sich an. Keiner sagte etwas.

"Wer hat es den mitgebracht?" fragte die Mutter.

Keiner antwortete.

"Von irgendjemanden muß es doch kommen?"

"Vielleicht vom Christkind", schlug Opa Schnack vor. "Macht es doch einfach auf."

Das ließ Kalle sich nicht zweimal sagen. Schnell war das Geschenkpapier weg und hervor kam - das verlorene Christkind.

Da freute sich die ganze Familie Schnack und besonders die Kinder. Kalle legte vorsichtig das Christkind in die Krippe und dann sagte er zu seiner Schwester: "Dies ist das schönste Weihnachtsfest, das wir je hatten."

Jessi nickte nur und schniefte. Ihr liefen vor Freude die Tränen über die Wangen.

Als der Heiligabend vorüber war und die Großeltern durch den Schnee zurückstapften, lächelte der Großvater in sich hinein.

"Das hat gut geklappt", dachte er. "Zum Glück konnte sich niemand mehr daran erinnern, daß ich das Christkind mit nach Hause genommen hatte um den abgefallenen Kopf anzukleben. Ich hatte es völlig vergessen."

Die Großmutter sagte: "Ein Glück, daß das Christkind wieder aufgetaucht ist."

Der Großvater schaute in den sternenklaren Himmel. "Zu Weihnachten geschehen eben immer wieder Wunder."

  © 2004 by IT-Dozent Ole Vanhoefer · Zum Seitenanfang